Mittwoch, 7. März 2018

SA 12.5.'18 17.30-19.30: Drama, Sex & Crime, Lyrik & lose Literatur: Lesung im lockeren Lokal GOLDENE ZEITEN, Tü, Europaplatz 11

Lilo Wanders liest erotische Literatur - so gemütlich und anregend, wie UNSER HUHN es tun wird (Bild: Wikipedia)

Huhn hält hof:



Wer?: Der Stammtisch Unser Huhn präsentiert leckere Literaturkost aus den eigenen und befreundeten Reihen
Wo?: Im Tübinger Lokal Goldene Zeiten, Europaplatz 11 (beim Hauptbahnhof).
Wann?: Samstag, 12.5.2018 - Kulturnacht Tübingen 2018 - 17.30 - 19/19.30
Kosten?: GRATIS! Kein »Kulturbändchen« nötig! Sparen Sie sich das Geld für etwas Sinnvolles: das Bier! (z. B.)

»Über zwei Stunden Literatur? Überfrißt man sich da nicht?« - »Nein. Wir sind ein literarisches Büfett. Der Gast hat die Wahl unter den Appetithäppchen.« :


17:30

Die erschütternde Wahrheit über Hartz IV

Besser als die Sensationspresse beschreibt's ...

... Dr. Ulrich Stolte in seinem Drama »Liebe in Zeiten von Hartz IV«, aus dem er - ebenso wie aus dem Roman »Das Mädchen Yapuca« - ausgewählte Passagen lesen wird.


Hat den vollen Durchblick: Dramatiker Dr. Ulrich Stolte



































Das Hartz-IV-Starterset (oder ähnlich Leckeres) gibt's auch in den GOLDENEN ZEITEN!


 

 

 

 

 

 

 

18:00

Kleinkunst ganz groß

Der Musiker und Kabarettist Martin Betz trägt ausgewählte Couplets und anderes vor.

18:30

»Die Sklavinnen von Tanger« 


Im 13. Monat schwanger mit dem nächsten Romanprojekt ... :-)







































Stilecht in einem schicken orangenen Niqab liest der Autor des Marterpfahl Verlags »Raymond Schaendler« aus seinem noch unvollendeten SM-Erotikthriller (erscheint 2019) »Die Sklavinnen von Tanger« - im Niqab, um sein Pseudonym zu wahren und natürlich auch, um völlige Genderkompetenz und -sensibilität zu zeigen ...

19:00






N. N. - steht noch nicht fest.Vielleicht gibt es einen kurzen Auftritt von Häns Dämpf. Vielleicht ist ja auch gar nichts dahinter, hinter dem Vorhang - außer heißer Luft. Schau'n wir mal ...


Gegen 19:30:

Ende


Mittwoch, 17. Mai 2017

Neues Blog!

Dieses Blog ist umgezogen!

Sie finden mich ab sofort unter

www.ulrich-stolte.de

Noch besser - noch schöner - noch aktueller!

(22.4.2013)

(Dieser Blog enthält alle Postings der alten Blog-Website »...stolte.info«, die wegen ihrer abgelaufenen Domain nicht mehr sichtbar ist. In Klammern unter jedem Beitrag das Datum der dortigen Erstveröffentlichung)

Wie der Schatz der Azteken nach Plochingen kam

Vor fünfzig Jahren wurde der erste Karl-May-Film gedreht. Bei der großen Filmgala in Berlin ist auch Ulrich Stolte dabei. Er erklärt in einem spannenden Kurzvortrag, warum das schöne Städchen Plochingen in dem Karl May Film: Der Schatz der Azteken vorkommt. Genauer gesagt, er versucht es zu erklären.
Zum Programm der Filmgala

Lex Barker spielt den Dr. Sternau, der im mexikanischen Freiheitskampf den Schatz der Azteken sucht
(15.7.2012)

»Darwin hatte recht!«

Als Astronaut hat er die Erde dreimal von oben gesehen.
Ulf Merbold über Siliziumkristalle, Schiller und seinen Job als Gärtner im Orbit.
(aus der Stuttgarter Zeitung)

Er hat die Wissenschaft beschleunigt, die Entwicklung der Siliziumchips und vor allem sich selbst. Dreimal raste er ins Weltall. Wir trafen Ulf Merbold beim großen Fliegerwochenende auf der Hahnweide bei Kirchheim, da war er gerade in einem Oldtimer-Flugboot um die halbe Welt gezuckelt. »Journalisten«, klagte der Siebzigjährige, »sind gern da, wenn es qualmt oder wenn etwas explodiert, aber für eine wissenschaftliche Leistung über Jahre hinweg interessieren sie sich nicht.« Das konnten wir nicht auf uns sitzen lassen.

Herr Merbold, was haben Sie in der Spacelab-Mission 1983 herausgefunden?
Daß Darwin recht hatte. Dafür habe ich mich da oben im Spacelab als Gärtner betätigt und mußte Sonnenblumen pflanzen. Wenn eine Pflanze auskeimt, dann beschreibt der Trieb beim Wachsen eine Ellipse. Da gab es zwei Theorien, die eine ging zurück auf Darwin, der sagte, das ist einfach so. Die andere besagte, die Pflanze würde sich auf die Schwerkraft hin immer wieder neu ausrichten und deswegen rotieren. Das ist über hundert Jahre strittig gewesen. Wir haben Sonnenblumen im Weltall einmal unter künstlicher Schwerkraft wachsen lassen und einmal ohne. Es kam raus, Darwins Theorie stimmte.

Ist durch Ihre Arbeit ein Zweig der Technik vorangekommen?
Die Herstellung von schnellen Siliziumchips. Damals konnte man noch keine Silizium-Kristalle züchten, in denen Phosphor und Silizium gleichmäßig verteilt waren. Das ist ein Qualitätsmangel. Die Frage war: Warum? Im Weltall hat sich der Grund herausgestellt. Schuld war die Oberflächenspannung in den geschmolzenen Substanzen, die an einer kalten Stelle höher ist als an der warmen. Das führte zu einer Strömung und zu einer ungleichen Verteilung.

Da müßte Ihr Team ja nobelpreiswürdig sein.
Das Experiment ist ja unsere Aufgabe gewesen. Wir fanden auch heraus, dass der in Wien geborene Ungar Robert Bárány den Medizinnobelpreis des Jahres 1914 für eine Theorie bekommen hat, die nicht zu halten ist. Báránys Erklärung für eine Augenbewegung, den so genannten kalorischen Nystagmus, die dadurch stimuliert wird, dass ich einem Menschen das eine Ohr kühle und das andere aufwärme, war falsch. Sie ist nicht schwerkraftabhängig.

Im Spacelab wurden in zehn Tagen 72 Experimente gemacht.
Bei unserem Flug haben wir im Schichtbetrieb rund um die Uhr gearbeitet. Einer mußte das Shuttle fliegen, zwei waren mit den Experimenten beschäftigt. Nach zwölf Stunden wurde eine Schicht abgelöst. Wir haben wichtige Erkenntnisse in der Medizin, der Biologie, der Physik und der Metallurgie gewonnen. Nur ganz wenige Experimente sind schiefgelaufen.

Da braucht man Nerven.
Wenn irgendwas nicht funktioniert, heißt es immer: »Back to timeline - zurück zum Zeitplan.« Wenn ein Experiment auf eineinhalb Stunden angesetzt ist und etwas nicht geht, dann müssen Sie diszipliniert abbrechen. Weil das Risiko besteht, für die gesamte Restmission einen Dominoeffekt zu hinterlassen. Der Computerspeicher, der für das nächste Experiment gebraucht wird, der muß frei sein. Und die Software vom vorigen Experiment muß weg sein.

Kann man nicht doch noch etwas machen?
Man versucht dann eine Neuplanung. Erst analysiert man das Problem, gibt es ein Leck, gibt es einen Kurzschluß, gibt es einen Softwareabsturz? Es kann ja hunderttausend Gründe haben. Dann versucht man eben in der noch verbleibenden Zeit, das noch mal unterzubringen. Oft genug ist es dann so, daß man den Astronauten fragt: »Könntest du von deiner Ruhezeit etwas abknapsen?« Das wichtigste Ziel ist, das Gesamtergebnis zu optimieren. Es kann nicht sein, daß man wegen eines schiefgelaufenen Experimentes den ganzen Rest gefährdet.

Ich stelle mir gerade einen reinen Theoretiker vor. Dem hätte ich nicht zugetraut, einen Kurzschluß aus einem Trafo rauszukriegen. Welche Voraussetzungen braucht man als Wissenschaftsastronaut?
Ich komme ja aus der Experimentalphysik und habe zehn Jahre lang am Stuttgarter Max-Planck-Institut bei tiefen Temperaturen Metalle erforscht. Wenn beispielsweise ein Kurschluß in einem Netzgerät ist, dann läuft das Experiment erst mal nicht. Dann lasse ich die anderen Experimente mit einem anderen Netzgerät laufen, und dann baue ich das Netzgerät um und versuche, soviel wie möglich noch zu machen. Ich war der Klempner, der die Strippen gezogen hat.

Hatten Sie Angst vor ihrem ersten Flug?
Ich bin über 76 Puls nie herausgekommen.

Respekt.
Das, denke ich, ist auch eine Qualität, die ein Astronaut braucht: daß er unter viel Streß in der Lage ist, zielgerichtet zu agieren. Der erste Flug, der ist emotional immer der schwierigste. Für mich war von Vorteil, daß unser Kommandant der große John Young war, der zweimal zum Mond geschickt wurde und den allerersten Shuttle-Flug gemacht hatte. Die schwierigste Phase in allen drei Flügen ist die Warterei auf den Start gewesen. Man liegt da rum, kann sich nicht mehr bewegen, man weiß, daß andere, die sieben Kilometer weit weg sitzen, diesen Countdown vorantreiben. Man kann sich ja fragen, warum die so weit weg sind.

Hat der Flug Ihre eigene Wissenschaftskarriere befördert?
In allen Disziplinen habe ich unheimlich viel dazugelernt. Wir haben allerdings die Auflage gehabt, nicht zu publizieren.

Das enttäuscht einen doch!
Es ist aber auch nachvollziehbar. Sonst könnte ein Wissenschaftler auf der Erde sagen, wenn du mein Experiment besonders gut machst, dann darfst du mitpublizieren. Dann mögen die anderen denken, der Astronaut Merbold kümmert sich um ein Experiment besonders intensiv zu Lasten eines anderen. Ich habe dann aber noch eine kleine Nische gefunden und ein paar Veröffentlichungen geschrieben: über die Störungen der Schwerelosigkeit durch unsere Flugmanöver. Das war für viele Experimente eine willkommene Zusatzinformation.

Was tut ein Astronaut, wenn er in Rente ist?
Ich habe nicht aufgepaßt und viele Ehrenämter übernommen. Ich will noch ein paar Semester Germanistik studieren. Das vertiefte Wissen über die deutsche Sprache und die Literatur ist das, was mich noch interessiert. Ich habe jetzt auch relativ viel Klavier gespielt. Das ist für einen Wissenschaftler vielleicht auch eine Form, eine Balance zu kriegen zwischen dem Rationalen und dem mehr Emotional-Kreativen.

Einstein war ein begeisterter Geiger.
Es gibt noch viele andere. Heisenberg beispielsweise war ein großer Pianist.

Was interessiert Sie an der Germanistik?
Ein Dichter, der mich als Jugendlichen in der DDR-Zeit schon getröstet hat, war Schiller, weil beim ihm die Gerechtigkeit obsiegt. Was hat er doch für Spuren hinterlassen, und er ist nur 46 Jahre geworden!

Es gibt Menschen, die erlöschen einfach, weil sie ein ganzes Leben lang gebrannt haben.
Denken Sie an die vielen Wendungen in der deutschen Sprache, die auf ihn zurückgehen: Von der Stirne heiß / rinnen muß der Schweiß. Oder wenn man sich Maria Stuart anschaut - was ist das für eine Psychologie!

In der Schule fand ich es sterbenslangweilig.
Sollten Sie mal wieder lesen.

Hat sich durch diese eine Chance, unter 2000 Bewerbern für den ersten europäischen Raumflug ausgewählt zu werden, ihr ganzes Leben verändert?
Ja - uff - ja, das kann man schon sagen. Und wenn es mich nicht fasziniert hätte, hätte ich keine weiteren Flüge unternommen. Weil ich eben die singuläre Chance hatte, mich an vielen Stellen der Wissenschaft durch die Grenzlinie durchzuarbeiten, die zwischen dem Bekannten und dem Nichtbekannten liegt. Ich hatte fünf Angebote, an eine Hochschule zu gehen, doch ich dachte, meine Erfahrung wäre in der Raumfahrt am wirksamsten.

Sie hätten dann auch keine Fragen beantworten könnten, die die Menschheit weiterbringen.
Ich denke mal: Was ich über mich sagen kann, ist, neugierig zu sein. Diese Welt, die ist so farbig und interessant, daß die Stunden eines Tages nicht ausreichen, allen Dingen nachzugehen, die mich interessieren. Diese Neugierde für die Wissenschaft hat mich als junger Mensch dazu gebracht, Thüringen zurückzulassen, weil ich unbedingt Physik studieren wollte. Das war die schwierigste Entscheidung, die ich in meinem Leben zu treffen hatte, da war ich 19. Das zweite aber, das mich nicht kaltläßt und woran ich immer noch eine kindliche Freude habe, ist Fliegen!

Können Sie von sich sagen, ein kleiner Schritt für mich und ein großer Schritt für die Menschheit?
Nein, diese Lorbeeren die stehen mir nicht zu, die gehören denjenigen, die sich die Experimente ausgedacht und die Organisatoren der ESA überredet haben, sie im Spacelab durchzuführen.

(29.4.2012)

Unterwegs im Auftrag des Herrn

Auf Gottes Pfad

Wallfahrt: Fast 50 Kilometer misst die Etappe auf dem Jakobsweg von Esslingen nach Tübingen. Unser Reporter Ulrich Stolte hat die Strecke an einem Tag bewältigt. [übernommen aus der Stuttgarter Zeitung]

Leben ist gehen, sagt man, aber wenn dem so wäre, dann würden die Bäume nicht leben. Sie schauen auf mich herunter: einen Pilger mit Kniebundhose, Hut, schwarzer Umhängtasche, Wasserflasche, sechs alten Wecken und zwei Wurstdosen für je 99 Cent vom Bahnhofskiosk.
49 Kilometer geht der Jakobsweg von Esslingen nach Tübingen. Eine Tagesreise, wie sie normal wäre auf dem Pilgerpfad quer durch Europa nach Santiago de Compostela in Nordspanien. Dorthin sind seit dem 14. Jahrhundert Christen unterwegs, um am Grab des Heiligen Jakobus auf die Vergebung der Sünden zu hoffen.
Eine Reise beginnt mit einem Schritt, sagt man, und einen Schritt von der B 10 entfernt beginnt der Dschungel, das Unbekannte. Der Jakobsweg führt in Esslingen am Nordufer des Neckars über verwitterte Treppenstufen, umgestürzte Bäume: ein grüner Teppich aus Frühjahrskräutern, die Vögel zwitschern und von unten donnert der Verkehr auf der vierspurigen Straße.
Weist den Weg: Die Jakobsmuschel, hier in Rüdesheim. (Bild: Wikipedia)

Der Weg ist das Ziel, sagt man, aber das ist falsch: Der Weg ist der Weg, und das Ziel ist Berkheim, ein Esslinger Stadtteil. Der Wind treibt mich durch Obstgärten, die Menschen grüßen, ahnen wohl, dass ich im Namen des Herrn unterwegs bin wie die Blues Brothers, nur ohne Brüder, aber dafür mit dem Blues. Dunkelblaue Regenwolken ziehen auf. »Schreibe nicht über das Wetter«, lautet eine journalistische Grundregel, was aber soll man machen, wenn einen der Regen unter das Portal der katholischen Kirche in Berkheim treibt? Es stürmt so sehr, dass ich die Kapuze des Regenumhangs mit der Hand festhalten muss, als ich nach Denkendorf wallfahre.
Im Mittleren Neckartal ziehen die Gewitter meist von Westen auf, was die östlich der Landeshauptstadt wohnende Bürgerschaft stets zu politischen Kommentaren ermuntert hat. »Emmer kommt's dick von Stuttgart«, grollten die alten Leute und fluchten dann: »Heida Stuargart!«
Der Regen bringt Kälte, die Katzen jagen nicht mehr in den Vorgärten, sondern sitzen unter den Gartenhäuschen. In Denkendorf wähle ich mir einen Carport zum Unterstand, warte, bis keine Regenkrönchen mehr in den Pfützen zu sehen sind, und trotte steil bergab in die Denkendorfer Ortsmitte hinein. In den Bushaltestellen drängen sich Schüler, vergraben sich in Schirme und Kapuzen oder trotzen wie Freibeuter mit nassem Kopf der Kälte. Der Schlecker hat gerade aufgemacht. Ob man dem lieben Gott für einen Schlecker danken kann? Kaufe einen hübschen blauen Regenschirm und Süßigkeiten: Haribo macht Pilger froh.
Die romanische Denkendorfer Klosterkirche steht auf einem kleinen Hügel. Die Mauern der Basilika schneiden den allgegenwärtigen Straßenlärm ab, endlich. Die Kirche vertreibt sich die Zeit damit, das Gebälk knacken zu lassen. Ob der Verzehr von Süßspeisen hier erlaubt ist? Ich lasse die Pilgertasche zu. Schon merke ich, wie der Weg den Menschen bessert: Mit dem Regenschirm vom Schlecker komme ich nicht mehr in Versuchung, einen Schirm aus der Kirchengarderobe zu stehlen.
In der Krypta, so erklärt der Reiseführer, stehe eine Nachbildung des Heiligen Grabes von Jerusalem. Dort sieht es aus wie im Stuhllager einer Brauerei. Der Mann, der erfolgreich verbreitet hat, diese finstere Sickergrube aus Backsteinen sei die Nachbildung des Heiligen Grabes, dürfte selbst hartgesottene Marketingleute vor Neid erblassen lassen. Es war anscheinend ein gewisser Berthold von Denkendorf. Ein angestaubter Gebetsgarten, der inmitten nackter Steine steht, lädt zum Nachdenken ein. Ich zünde eine Kerze an.
Vielleicht rechnet man auf solchen Touren nicht mit Regen, weil auf den Werbebroschüren der Himmel immer blau ist. Das grüne Heftchen über den Jakobsweg haben der Tübinger und der Esslinger Landrat im Frühjahr auf der CMT in Stuttgart präsentiert, als sie den Lückenschluss der letzten Etappe des Jakobsweges von Rothenburg ob der Tauber nach Rottenburg feierten.
Eigentlich ist der Lückenschluss allein der privaten Initiative von Hans-Jörg Bahmüller aus Winnenden zu verdanken. Bahmüller ist ein ruhiger und gelassener Mann im besten Rentenalter. Im Jahr des Jakobus 2004 beschloss er als neue Lebensaufgabe, den Jakobsweg in Württemberg zu rekonstruieren. Alle Kirchen, die Jakob geweiht waren, viele Flur- und Straßennamen, die einen Jakob nannten, verband er auf einer gedachten Line und wies dann auf vorhandenen Wanderwegen eine Route aus. Er baute ein Netzwerk auf, kaufte etwa 4000 blaue Schilder mit der gelben Muschel drauf und schraubte und klebte sie auf der mehr als 200 Kilometer langen Strecke an Schilder, Bäume und auch an Hauswände. »Wir haben immer geklingelt, und wenn keiner zu Hause war, sind wir davon ausgegangen, dass der Hausbesitzer zustimmt«, sagt er augenzwinkernd.
Unter der Autobahnbrücke der A 8 geht es weiter in Richtung Oberensingen. Der Lärm der Autobahn sitzt mir wie ein Alb im Nacken. Es sind nur noch 41 Kilometer nach Tübingen, das müsste in zehn Stunden zu schaffen sein.

Ein Albvereinsschild verkündet, man möge bei hohem Grundwasser vom Pilgerweg abweichen und eine andere Route wählen. Weil Regen ja wohl kein Grundwasser ist, stapfe ich voran. Der Weg führt in einen Sumpf, der in ein Moor geht, das in ein Ried mündet, welches in einer ziemlichen Patschelacke endet. Ich schlage mich durch Brombeeren. Bei den Lindenhöfen wird das Wetter besser. Dort weiden glückliche Kühe mit ihren Kälbern.
Etwa 300 Personen gehen diese schwäbische Route des Jakobsweges jährlich. Ein Rinnsal, aus dem sich der große Fluss der Pilger speist, der sich über die spanische Grenze ergießt. Die meisten Pilger auf dem schwäbischen Jakobsweg sind Frauen; viele, so meint Hans-Jörg Bahmüller, versuchten Depressionen oder einem schweren Schicksal zu entfliehen und so im wahrsten Sinne des Wortes wieder auf die Beine zu kommen. Etliche Privatpersonen haben sich in den vergangenen sieben Jahren bereit erklärt, Pilger aufzunehmen; in Frommenhausen bei Rottenburg gibt es inzwischen wieder eine richtige Pilgerherberge.
Es gibt in Deutschland mittlerweile drei Jakobusgesellschaften, die einen amtlichen Pilgerausweis ausstellen. Als Wallfahrer mit Brief und Siegel gilt man, wenn man die Wegstrecke zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem Pferd zurücklegt.
Hinter den grünen Tüchern der Buchen bei Unterensingen ruht einer der größten römischen Gutshofe Württembergs, jetzt nur ein paar Schutthügel. Das bleibt also von den Menschenwerken. Der Wald lichtet sich, ein Acker liegt da wie eine offene Wunde, das ist der Nürtinger Stadtteil Hardt. Berühmt wegen des Pfeifers von Hardt, der einst Herzog Ulrich versteckte, weswegen die Bauern von Hardt über Jahrhunderte keine Steuern zahlen mussten. Vielleicht gibt es deswegen so erstaunlich wenige Gehwege im Flecken. Die Strecke senkt sich ins Aichtal.
»Da nemlich ist Ulrich gegangen«, dichtete Friedrich Hölderlin über den Herzog und den Winkel von Hardt, der zu meiner Rechten liegt, ich muss herab zum Flüsschen Aich. Die Sonne lässt die Bäume erblühen. Die Aich überquert man auf einer Holzbrücke mit einem wackeligen Drehkreuz, das verhindern soll, dass Kompanien von Wanderern sie zum Einsturz bringen.
Bald taucht die Neckartailfinger Martinskirche auf mit dem berühmten schiefen Turm. Er hat sich nach Westen geneigt, in meine Richtung, nach Spanien zu. Willst du mit? Die Kirche bleibt im Dorf, und der Anstieg nach Schlaitdorf tut weh nach einer so langen Strecke, selbst wenn er durch einen bezaubernden Märchenwald führt.
In einer Schlaitdorfer Gastwirtschaft raste ich, am Nebentisch vespern gemütlich die Wirtsleute, was mich dummerweise zu einem Witz verleitet: "Wo eine Kirche ist, ist auch eine Wirtschaft", sage ich keck. Der Wirt gießt mir ein Radler ein und brummelt: "In Schlaitdorf gehen aber die Uhren anders." Doch das stimmt nicht, denn die Turmuhr schlägt zuverlässig eins, als ich das zweite Radler bestelle. Die Kloschüssel hält eine fette Kellerspinne besetzt, ich vertage die Sitzung auf unbestimmte Zeit.
Nach der Mittagsrast bin ich nicht ganz so blau wie der Himmel, der sich kurz zeigt. Nur noch 25 Kilometer. Von Schlaitdorf kann man nach Altenriet blicken und von Altenriet nach Schlaitdorf, eine Art Ansichtskarten-Pingpong, die beide Dörfer auf ihren malerischen Hügeln spielen. Die drei Kaiserberge - Stuifen, Staufen und Rechberg - sind in Sicht, bestimmt 70 Kilometer Luftlinie. Wolken rollen über die Albgipfel und geben scheibchenweise Aussichtslücken frei. Ein heftiger Anstieg folgt jetzt nach Kilometer 30, es ist der letzte schwere auf dieser Etappe und führt über Dörnach und Rübgarten.
Am Ortseingang von Rübgarten raste ich in einer feudal überdachten Bushaltestelle. Der Weg spult sich entlang der Vorgärten ab. Hand in Hand arbeiten der Reiseführer Bahmüllers und die Wegmarkierungen. Jetzt geht es zum Einsiedel, dem Jagdschlösschen des Grafen Eberhard im Barte. Ich gehe in den Hof, um den Weißdorn zu bewundern, den Eberhard einst aus dem Heiligen Lande brachte. Der Orkan Lothar hatte ihn gefällt, doch ein Schößling des Bäumchens grünt noch. Schilder erklären penetrant, dass die Wirtschaft zu und das Gelände privat sei. Ich habe die Himmelsrichtung verloren und irre ein paar Mal um das Gehöft, immer irgendwelchen blauen Schildern entlang. Das ist die Müdigkeit.
Der Weg verläuft auf der Straße nach Pfrondorf, die ein beliebter Schleichweg ist. Nur: die Autos schleichen nicht. »An langen Wandertagen träumte er davon, ein Radarkasten zu sein«, denke ich, dann würden die Autos nicht so rücksichtslos vorbeibrausen.
Beim Joggen nennt man es den Flow, den Fluss, wenn die Gedanken weggedacht sind und man nur noch Körper ist, der Schlaglöcher und die Steine fühlt, der den Wind spürt und die Sonne auf der Haut, der Füße voreinander setzt, während der liebe Gott die Kulissen der Landschaft vor den Augen vorbeischiebt. Da hinten ist man gewesen, da vorne wird man sein.
Ich erwache aus der Trance, als der Waldrand naht und ein Wolkenbruch hernieder geht. Mein Schirm stemmt sich tapfer gegen den Sturm, die Dornenranken reißen am Regencape, aber bald erreiche ich wie vom Reiseführer versprochen die Waldklause Henne. In dem holzverkleideten Beizle ist ein gutes Dutzend älterer Pfrondorfer ausgiebig damit beschäftigt, sämtliche politischen Probleme des Landes dauerhaft zu lösen, schade, dass Winfried Kretschmann nicht da ist. Die weißhaarige Wirtin im Kittelschurz verkauft ein Bier und einen Kaffee für 3,60 Euro. Ob ich einen Pilgerstempel wolle, fragt sie. Nein, danke.
Bald habe ich es geschafft. Jetzt geht es ins Tal nach Bebenhausen, dem kleinsten Stadtteil Tübingens. Von oben kommt es überflüssig flüssig. Dann ragen die mächtigen Stämme des Schönbuchs auf, die Blätter halten das meiste Nass ab. Die letzten acht Kilometer. Schade, dass keine Zeit bleibt für das Kloster Bebenhausen, diese Ansammlung von gotischen Dächern und Türmen. Die Anlage ist ganz im Mittelalterlichen geblieben, Generationen von Klosterschülern haben sie mit Leben erfüllt.
Am Gegenhang nach Tübingen hinauf hat sich eine Joggerin im Dickicht untergestellt und singt aus Leibeskräften gegen den Regen an. Ich sinne über die Steine nach, die halb behauen im Wald liegen. Waren sie Teile von Gebäuden?
Fremd komme ich in Tübingen an. Wie aus einer anderen Welt gehe ich mit Spaziergängern am Waldrand vorbei in Richtung Stadtzentrum durch ein Tälchen, das zu Uhlands Zeiten noch Elysium hieß und jetzt ziemlich unpoetisch Käsenbachtal. Dort schwelgten die Dichter von Hölderlin bis Ottilie Wildermuth. Hier liegt der geografische Mittelpunkt des Landes, ein konischer Stein bezeichnet ihn, aber Insider wissen, dass es etlicher Berechnungen bedurfte, um den Stein tatsächlich genau hierhin zu rechnen.
Die gelben Muscheln führen in den ältesten Siedlungskern der Tübinger Altstadt, ins Weingärtnerviertel, wo sich nur wenige Touristen hinverirren und wo die beinahe romanische Jakobuskirche steht. Ihr schlichter Bau wirkt gedrungen, weil das Kirchenschiff einst wegen des ständigen Hochwassers zwei Meter aufgefüllt wurde. Hier gingen die ersten Jakobspilger auf den Weg, hier hat man mittelalterliche Jakobsmuscheln gefunden, und hier ist der Endpunkt meiner Tagesreise. Die Tür knarzt, das Schiff ist dunkel. Ein Dutzend Menschen haben sich zu einer Art Gottesdienst zusammengefunden, sitzen in der Apsis und schweigen. Ich setze mich dazu. Ein Freund bat mich, für ihn zu beten. Die Ruhe ist wieder da, die Dämmerung, das Kerzenlicht. Das Schweigen wird ab und zu durch Orgelspiel durchbrochen.
Irgendwann wuchte ich die schmerzenden Knie in die Höhe, es ist Nacht geworden. Ich schlage das Portal zu, am rechten Türbogen leuchtet die gelbe Muschel auf. Mein lieber Jakobsweg, vergiss es für heute. Am Bahnhof gibt's Döner.
Am nächsten Tag sind die Waden steinhart und die Sehnen schmerzen. Ich will diesen Weg nicht in Tübingen enden lassen, sondern dahinter. Der Route führt über den Schlossberg hinauf zur Wurmlinger Kapelle und dort weiter nach Rottenburg, dann in das Elsass hinein. Dahinter kommen die Pyrenäen und nach 2200 Kilometern Pilgerweg Santiago de Compostela, danach der Atlantik, Amerika, der Pazifik, Asien. Vor der Wurmlinger Kapelle kehre ich um. Eines Tages werde ich weitergehen.

Wegbeschreibung der Etappe unter occa.de.

(13.11.2011)

»Sie fahren!«

Esslingen: Wie gut, dass es Leitsysteme gibt, die genauestens auf meteorologische Veränderungen reagieren!
Von Ulrich Stolte [übernommen aus der Stuttgarter Zeitung]
Schilder helfen den Menschen. Die Hilfe ist da am größten, wo sich die Zeichen am Straßenrand auf die Sorgen und Nöte von uns einstellen. Nur so fühlen wir uns von mächtigen Gebilden wie der StVZO Anhang EV oder dem BMVBS verstanden, was stets guttut auf den unbarmherzigen Kilometern der Fahrt zwischen Wohn- und Dienstort. Und wenn ich in Wolkenbrüchen mit Tempo 15 über die B 27 schleiche und der Scheibenwischer nach einer Minute das Wasser so weit abgekratzt hat, dass ich kurz einen Blick nach draußen werfen kann, erblicke ich immer das Schild des Verkehrsleitsystems, das mir anzeigt: »Regen, langsam fahren«. Und es wird klar, dass irgendwo in den Schaltkreisen der Stuttgarter Verkehrsrechner jemand sitzen muss, der meine Ängste kennt.
Wie schrecklich war es dann, als diese seit Jahren lieb gewonnene Verschmelzung von Autofahrer und Schild neulich in irgendeiner Gemeinde auf den Fildern so schnöde, so unachtsam unterbrochen wurde. Es war am rechen Straßenrand. Es war eine Tafel mit orangefarbenen Leuchtbuchstaben, die mich anbelferten wie die Schnauze eines Kettenhundes: »Sie fahren 51 Stundenkilometer!«, behauptete die Anzeigentafel. Aber es stimmte nicht: Ich fuhr doch keine Stundenkilometer. Ich fuhr doch Auto. Ratlos verbrachte ich die nächsten Tage hinter dem Steuer, und die tägliche Fahrt über die B 27 kam mir kälter und unbarmherziger vor denn je. Einige Wochen später rollte ich wieder durch besagtes Dorf auf den Fildern, und irgendjemand hatte der gellenden Anzeigentafel den Strom abgedreht. »Sie fahren« stand da nur noch. Ich blickte auf den Tachometer. »Ich fahre«, dachte ich. »Es stimmt.« Ich fuhr, und die lang entbehrte Einheit zwischen Schildern und Autofahrer war da, unverbrüchlich wie nie zuvor. Zuweilen, das wurde mir klar, sendet auch ein kühler Spätsommer goldene Altweiberfäden aus.

(13.11.2011)

»Sitzstreik der Stammtische!«

Gastbeitrag von R. H.:
1986 entstand er aus einem Seminar des Rhetorikprofessors Walter Jens heraus: Der Literaten-, Journalisten- und Satirikerstammtisch »Unser Huhn«, der hier in Tübingen auch eine (leider nur kurzlebige) Satirezeitschrift gleichen Namens herausbrachte.

1989 tönten wieder mal einige Politiker von der »Lufthoheit über den Stammtischen«, und der Stammtisch »Unser Huhn« beschloß: Jetzt reicht's! Wir sind keine Dumpfbacken, sondern sich ernsthaft über ernsthafte Themen unterhaltende Bürger, die keine Diffamierung verdient haben. So rief der Stammtisch »Unser Huhn«, dem ich seit 2006 angehöre, 1989 zum bundesweiten Sitzstreik aller Stammtische auf - und schaffte es damit sogar ins ZDF-»Heute journal«, ebenso wie in die Abendschau von Südwest 3.

1989 schwer aktiv: »Unser Huhn«

Rauchende Frauen: Das galt 1989 als Zeichen der Emanzipation. Fern war das Rauchverbot in Kneipen, undenkbar - die Diskussion um die Frauenquote (damals noch nicht so genannt) ist uns geblieben.

»Mein Gott, waren wir damals alle jung!« entfuhr es einem Gründungsmitglied beim Betrachten. Er möge getröstet sein: Er gehört zu denjenigen, die mit 40 markanter und männlicher aussehen denn als 20jährige Jüngelchen.

Ulrich Stolte 1989 - Standbilder anderer Stammtischfreunde können auf Wunsch nachgeliefert werden

(1.5.2011)

Solitudelauf am 3.4.2011

Gastbeitrag von R. H.:

Herrlich sommerlich war das Wetter im April 2007, 25 Grad, alle erwarteten schon eine Wiederholung des Supersommers von 2006 (die dann doch nicht kam), als ich zu meinem ersten Solitude-Halbmarathon startete. Es wurde mit 2:09 mein bisher flottester, weil ich damals für meine Verhältnisse schlank und gut in Form war.

Heute bin ich lahmer und fetter und laufe auf der Solitude nur noch die 10-km-Strecke, aber wieder war das Wetter so wunderbar wie 2007: Warm, sonnig, die Knospen sprießen, der Wald ergrünt ...

Morgens um fünf war ich aus einem wirren Traum aufgeschreckt: In einer Stadt wollte ich mich für einen Marathon anmelden, aber die Anmeldefrist würde in wenigen Minuten ablaufen, ich hetzte mich ab und fand den Weg nicht ... und S. war auch irgendwie mit dabei, aber schon längst angemeldet. (Dabei war er es gewesen, der am Vorabend - vor dem Traum - telefonisch befürchtet hatte zu verschlafen ...)

Um halb sieben stand ich auf, als der über und über rote Osthimmel kurz vor dem Sonnenaufgang stand. Rein in die Klamotten, ab nach Tübingen und bei S. klingeln, der tatsächlich fast verschlafen hätte ...

Weiter im Auto über die vierspurige B 27 und die A 8 nach Leonberg. Rauf auf den Berg und wieder runter nach Gerlingen. »Panoramastraße« - Nomen est omen. Parken nahe der Stadthalle. Rein in die Halle, anmelden, umziehen, Käffchen trinken, belegte Brote essen.

Ein Bus brachte uns zum Start auf den Berg. Ruhiger war es als 2007, keine Lautsprecherdurchsagen, nichts. Auf einmal knallte der Startschuß für die Halbmarathonis und zehn Minuten später für uns.

Durch diese hohle Gasse müssen sie gleich kommen, die Läufer - über den Schloßhof der Solitude nämlich. Auf diesem Foto von 2007 strahlt die Sonne so wie über unserem Lauf von 2011. Rechts das Schloß, links die »Kavaliershäuser«, d. h. die Dienstwohnungen der obersten Beamten, teilweise verdeckt

Die meisten zogen an uns vorbei, als es leicht bergauf zur Solitude ging. Rüber über den Schloßhof, Rechtsschwenk nach Süden, rüber über die vierspurige Straße Leonberg-Stuttgart und dann im Wald nach links, während die Halbmarathonis geradeaus gelaufen waren. 2007 hatte ich nach 11 Minuten die Zwei-Kilometer-Marke passiert, diesmal nach 14 Minuten. Häufig ging es leicht bergauf - für S. leicht, für mich schwer. An meinen gepreßt klingenden Antworten habe er das gemerkt und sich gefragt, ob ich wohl durchhalten würde, so S. später.

An Stößen gefällter Bäume hingen Zettel »Ohne Wald keine Zeitung« oder so ähnlich. Falls das die Reklame eines neuen Laufsponsors sein sollte (schließlich sponsert die Stuttgarter Zeitung auch den Stuttgarter Halbmarathon), dann wirkte sie bei mir eher kontraproduktiv: Schade um die schönen Bäume, dachte ich, während ich weiterkeuchte.

Nach vier Kilometern und 28 Minuten trennte sich S. von mir und keuchte langsam, aber sicher davon, war nach einigen Minuten außer Sicht (die auf dieser kurvigen Strecke meist nicht allzu weit reicht).

Bei Kilometer 5 unter der vierspurigen Straße durch nach Norden, eine Trinkstelle, und dann ging es rasend bergab durch den knospenden Frühlingswald, der noch kahl genug war für herrliche Ausblicke nach Norden ins Unterland ...

Auf der Bergabstrecke kam ich als Molliger gut in Fahrt. »Sie sind aber auch immer wieder da!« rief mir eine etwas verärgert hinterher, als ich sie zum zigten Mal überholte - und schließlich war sie doch ein, zwei Minuten vor mir im Ziel; in der Ebene war sie schneller. S. berichtete später, eine vor ihm habe sich heftig gegen das Überholtwerden gesträubt, habe sich dann aber doch geschlagen geben müssen.

In flottem Lauf bergab an den Waldrand - und statt in die Wiesen wieder in scharfem Winkel hinein in den Wald und keuchend 30 Höhenmeter hinauf. Und dann wieder in flottem Lauf bergab ...

Endlich rein in die Wiesen. Der Ortsrand von Gerlingen rückte näher. Als ich kurz vor Kilometer 9 war, lief S. durchs Ziel. Die schnellsten Halbmarathonis zogen an mir vorbei, lauter hagere, lang- und dünnbeinige Läufertypen, einer davon - Nr. 3 - keuchend sonderbare Laute ausstoßend.

Ich lief langsam, Kraft sparend für die herrliche Zielgerade, auf der es bergab geht und man noch einmal richtig Gas geben kann. S. stand am Rand und skandierte meinen Namen, sorgte dafür, daß später noch der Lautsprechermann mich als den bezeichnete, der »den Vogel abgeschossen hat mit seinem Hut« (meinem Panama nämlich). Zeitungsmann ist eben Zeitungsmann, der versteht was von PR :-)

Noch ein paar Minuten, und die ersten Halbmarathonis werden ins Ziel laufen. Die schnellen Zehnkilometerläufer - die mit Zeiten unter 50 Minuten - sind schon da, die starten ja zehn Minuten nach den Halbmarathonis

Anschließend saßen wir beim Weizen in einem Straßencafé an der Zielgeraden, direkt vor meinem geparkten Auto, und jubelten den Läufern zu, die nach uns kamen. Herrlicher kann ein schöner Frühlingssonntag nicht ausklingen.

(Zeit S.: ca. 1:04, Zeit ich, R. H.: ca. 1:11; die Bilder kaufte ich 2007 an, um sie irgendwann einmal in einem Buch zu verwenden - oder jetzt wenigstens im Blog ;-))

(11.4.2011)

Revolutionär und Reisender: Albert Dulk

Die Sphinx und die Cheopspyramide 1858

... und dann floh er bis zu den Pyramiden und noch weiter, statt wie andere nach England oder in die Schweiz. Wer? Albert Dulk. Einer der deutschen Revolutionäre von 1848. 1819 kam er in Königsberg zur Welt; seine Mutter entstammte der Verlegerfamilie Hartung. »Sie wollte eigentlich Alberts Onkel heiraten, nur war dieser in der Völkerschlacht von Leipzig gefallen. Weil sie aber nur einen Dulk und sonst gar keinen haben wollte, ging sie zu dessen Bruder Friedrich, der im Krankenbett mit dem Tode rang, und machte ihm einen Heiratsantrag. Worauf Friedrich befand, es habe noch Zeit mit dem Sterben, mit Emilie fünf Kinder zeugte und als Chemieprofessor fortan in Königsberg eine Apotheke betrieb«, beginnt Ulrich Stolte das Leben des »Indiana Jones« von Esslingen in der Stuttgarter Zeitung zu erzählen: Zwei Meter groß, durchtrainiert, »ein härterer Kerl (...) als der Leinwand-Indy, ein größerer Gelehrter und ein erfolgreicherer Frauenheld: Dulk gründete 1858 in Stuttgart mit seinen drei Frauen und sechs Kindern die erste Kommune Deutschlands, er entwarf 1850 ein wasserstoffgefülltes Luftschiff, er erfand das Freeclimbing, er durchschwamm als Erster den Bodensee an seiner breitesten Stelle, und er wäre der erste deutsche Rucksacktourist in Ägypten gewesen, wenn er nur einen Rucksack gehabt hätte statt einer simplen schwarzen Kiste.«

Während seines Militärdienst in Breslau und seines Chemiestudiums in Leipzig hatte er Kontakte zu Hoffmann von Fallersleben, dem Dichter des »Lieds der Deutschen«, und dem Berliner Kreis um Max Stirner, den »Philosophen des Egoismus«.

Nach einer gemeinsam mit Robert Blum, dem später in Wien Erschossenen, verfaßten und gehaltenen flammenden Gedenkrede auf die Toten der Leipziger Unruhen mußte er Ende 1845 untertauchen, wobei ihm seine Freundin half, die Bankierstochter Pauline »Ini« Butter.

Albert Friedrich Benno Dulk

1848/49 beteiligte sich der knapp Dreißigjährige aktiv in Königsberg an der demokratischen Revolution - bis sie gescheitert war und Dulk fliehen mußte. Die meisten flohen in die Schweiz, nach England oder Frankreich, Carl Schurz verschlug es in die USA, und Albert Dulk plante, in Ägypten als Französischlehrer zu arbeiten. Das nominell noch unter osmanischer Herrschaft stehende, aber halbautonome Land begann sich zu modernisieren; zugleich wuchs der Einfluß der aufstrebenden Kolonialmächte England und Frankreich. »Er verließ 1849 seine mit dem zweiten Kind schwangere Königsberger Frau Hannchen Dulk. In Italien besuchter er noch einmal Ini, die [nach der Pleite der väterlichen Bank] Gouvernante in Triest geworden war, und stand ihr bei der Geburt seines unehelichen dritten Sohnes bei.«

Französischlehrer konnte er nicht werden, denn kaum in Alexandria angekommen, verdarb er es sich auch schon mit der dort lebenden europäischen Hautevolee. Dafür begann er im Land umherzureisen: »Neun Stunden nördlich des Katharinenklosters [auf der Halbinsel Sinai] ist eine öde sonnendurchglühte Felswüste. [...] Richtung Osten thront, wie der Sitz der Götter, ein großer Granitblock, in der Höhle darunter wohnt Albert Dulk, schlägt sich mit Skorpionen und Schlangen herum. Und wenn ihm die dauernden Besuche der Beduinen und die Schikanen der türkischen Behörden Zeit lassen, dann schreibt er [Briefe, Tagebücher und seine erste moralphilosophische Schrift.] Eines Tages, als es ihm langweilig ist, turnt er wieder in den Felsen herum und erfindet das Freeclimbing. Er nennt es ›spazieren klettern‹.«

Ein einheimischer Führer nutzte einen nächtlichen Badespaziergang Dulks, um sich mit dessen Habe davon zu machen und ihn dem Verdursten preiszugeben - doch Dulk holte ihn und seine Kamele zu Fuß ein - und behielt ihn sogar als Führer, wenn auch deutlich mißtrauischer als zuvor.

»Der Tempel von Karnak beeindruckt den 30-jährigen Dulk schwer: Die hohen Säulen sind ihm ›ein Wald von aufgerichteten männlichen Ruten‹, die das Allerheiligste einschließen. (...) Er (...) turnt (...) auf das Dach des Tempels von Dendera, im Pyramidenfeld von Daschur dringt Dulk in die Grabkammern ein, Ströme von Fledermäusen kommen ihm entgegen, er zwängt sich durch die Spalten, gelangt in eine große Kammer (...)(,) schreit Worte und Verse gegen die Steine, die er später als Epos niederschreibt.«

»Seinen perlenbestickten Tagebüchern in der schwarzen Kiste hat er auch jenen Abend mit der berühmtesten Hure Mittelägyptens anvertraut, Kuchuk Hanem, eine Damaszener Christin. Sie hat etlichen Orientreisenden den Kopf verdreht, aber es ist Dulk, der nun ihr den Kopf verdreht. Nachdem er ihren Nackttanz und noch mehr genossen hat, will die Christin mit ihm nach Kairo und Assuan fliehen. Dulk jedoch hat anderes zu tun und reist ab.
Drei Tage später, am 3. März 1850, ist ein schmächtiger Franzose bei Kuchuk Hanem. Gustave Flaubert nimmt ebenfalls ihre Liebesdienste in Anspruch und beschreibt ausführlich ihre anatomischen Vorzüge: ›Ihre Möse berührte mich mit Samtpolstern‹, vertraut er seinem Tagebuch an. Bis heute wäre diese Stelle aus Flauberts Tagebuch unentdeckt geblieben, wenn nicht Ilse Walther-Dulk eine Kopie seiner Tagebücher aus Paris angefordert hätte und auch das übersetzte, was schamhaftere Forscher bisher weggelassen haben.«

»In Karnak trifft er am 6. März 1850 einen Lord Stanhope, vermutlich Philip Henry Stanhope, dessen Familienname zu der Zeit eine gewisse Berühmtheit aufweist, denn seine Tante war die legendäre Queen of the East, Lady Hester Stanhope, die im Libanon ein altes Christenkloster wiederaufgebaut hatte und dort Anführerin der Räuberbanden geworden war: Sie lebte allein mit 24 Katzen - für jedes Tierkreiszeichen zwei - und starb mittellos, die nackte Leiche wurde verlassen in einem Zimmer voller Unrat gefunden. Bis zur letzten Stunde bot die Lady der auch schon damals nicht zimperlichen englischen Skandalpresse reichlich Futter.«

Bis nach Abu Simbel und zum nördlichsten Nilkatarakt drang er vor, zur Insel Elephantine, an der heutigen ägyptisch-sudanesischen Grenze, am heutigen Assuan-Staudamm.

Das Leben in Ägypten war billig, aber Geld verdient hatte Dulk dort nicht, und zu Hause warteten zwei Frauen und drei Kinder auf ihn - also wieder zurück nach Europa.

Mit drei Frauen und mehreren Kindern lebte er zunächst in einem Haus bei Vevey am Genfer See, seit 1858, der wachsenden Finanznot folgend, im billigeren Stuttgart: »Im Bohnenviertel gründet die Familie die erste Kommune Deutschlands. Eine Frau kümmert sich eine Woche um die Kinder und den Haushalt, die beiden anderen Frauen dürfen schreiben, danach wird abgewechselt. Nach außen herrscht in dem polygamen Haushalt in der Rosenstraße eitel Sonnenschein, aber nach innen hin, wie die Briefe belegen, die Ilse Walther-Dulk gesammelt hat, sind die Frauen eifersüchtig. Dennoch macht die Triade Eindruck: ›Dulk konnte diese dreifache Ehe in Stuttgart ganz öffentlich und unangefochten durchführen, denn es wohnte damals in dem kleinen Schwabenland die weitherzigste Romantik Tür an Tür mit dem beschränktesten Spießertum‹, schrieb die Schriftstellerin Isolde Kurz.« Der Braunschweiger Schriftsteller Wilhelm Raabe machte Dulk zum Helden seines Schlüsselromans »Abu Telfan oder die Heimkehr vom Mondgebirge«.

Die Kommune scheiterte, Dulk zog 1871 nach Untertürkheim, verlor beim Börsenkrach 1873 sein letztes Geld. Für die Behörden hatte er nie aufgehört, ein Ärgernis zu bleiben. »In den Sommermonaten lebt Dulk in einem alten Waldarbeiterhaus in Esslingen, das heute Dulkhäusle genannt wird, um zu schreiben.«

1884 raffte ihn 62jährig ein Schlaganfall auf offener Straße dahin. »Im Alter von 85 Jahren vermachte Ilse Walther-Dulk den schwarzen Kasten, die Tabakspfeife und die Erinnerungen an die berühmteste Hure Ägyptens dem Literaturarchiv in Marbach, ebenso die Briefe mit dem Entwurf des Flugapparates, den Albert Dulk en passant erfunden hatte.«

Das Dulkhäusle in Esslingen
(Artikel: R. H. für U. Stolte; Bilder: Wikipedia)

(8.3.2011)

Hotel Fast - fast vergessen ...

(Gastbeitrag von R. H.:)
... aber nur fast. Erbaut wurde es 1891 als »Hotel Howard« von dem 20 Jahre zuvor aus Schwaben nach Jaffa ausgewanderten Architekten, Templer und Kartografen Theodor Sandel. 1907 wurde es von Abraham Fast gemietet (dem sein »Hotel Lloyd« zu klein geworden war) und in »Hotel Fast« umbenannt. 1911 wurde Waldemar Fast geboren, Abrahams Enkel. 1918-20 waren die Fasts (wie alle schwäbischen Templer) von den Briten in Ägypten interniert. Über Baiersbronn im Schwarzwald ging es bald zurück nach Jerusalem. Als Waldemar Fast, Chef des mit dem Hotel zusammenarbeitenden Reisebüros, in den 30er Jahren die wachsende Bedeutung des Luftverkehrs spürte, konnte einer der befreundeten schwäbischen Templer mit einem Stoppelfeld als Landefeld dienen - dem heutigen Ben-Gurion-Flughafen.
Doch über dem Wirken der schwäbischen Templer in Palästina stand kein guter Stern. Viele ließen sich mit den Nazis ein - auch Waldemar Fast. Zwar hatte er noch 1938 beim Ausfliegen jüdischen Goldes aus Amsterdam nach Jerusalem geholfen, während seine Onkel bereits das deutsche Generalkonsulat im Hotel beherbergten, aber dann erlag auch er der Versuchung, Nazi zu werden. Als 1942 die Deutschen auf Kairo und Jerusalem zumarschierten und der antisemitische Großmufti von Jerusalem bereits frohlockte, internierten die Briten wieder einmal die feindlichen Deutschen und deportierten sie nach Australien.
Waldemar Fast konnte sich rechtzeitig in die neutrale Türkei absetzen und wurde Attaché an der deutschen Botschaft in Ankara. Mit einem Kollegen zusammen bestach er den albanischen Diener des britischen Botschafters und erfuhr dadurch den Tag der Landung der Alliierten in der Normandie - aber Außenminister Ribbentrop wollte es nicht glauben. Bezahlt wurde der Spion mit 300.000 falschen, zur Destabilisierung der britischen Wirtschaft gedachten Pfund, gedruckt in deutschen KZs. Die Geld druckenden Häftlinge hatten die Pfundnoten nach Art englischer Buchmacher mit Nadeln durchstochen, als Stelle dafür allerdings ausgerechnet das aufgedruckte britische Wappen benutzt, was ein wahrer britischer Patriot nie tun würde - ein raffinierter versteckter Hinweis darauf, daß die Noten gefälscht waren ... (Nähere Einzelheiten zu diesem Spionagefall in dem Hollywoodthriller »Der Fall Cicero«.)
Soldatenlager, 1948 zwischen den Fronten und zerstört, Flüchtlingslager - das weitere Schicksal des Hotelgebäudes war traurig. 1975 wurde das Gebäude abgerissen, dessen Geschichte Ulrich Stolte in langer mühe- und liebevoller Recherche ausgrub und in einem ganzseitigen Artikel in der Stuttgarter Zeitung präsentierte, der leider nicht online zu sein scheint.
Der interessierte Leser findet allerdings auch in der Wikipedia ein wenig Auskunft über das Hotel Fast: Immer schön von rechts nach links lesen, und der Rollbalken ist an der linken Seite!
Waldemar Fast betrieb nach dem Krieg in Hamburg ein Reiseunternehmen, ging 1983 mit zwei Millionen Mark Schulden pleite und starb 1991. Seine Tochter Kirsten, 1943 in Ankara geboren, war 1972 Hosteß bei den Olympischen Spielen in München, Kollegin von Silvia Sommerlath, die sich dort den schwedischen Kronprinzen angelte. Nach dem Attentat auf die israelische Olympiamannschaft betreute sie Jerusalems Bürgermeister Teddy Kollek, der die Familie anschließend nach Jerusalem einlud ...

Hotel Fast am 2. Juli 1943. Das Bild wird heute von der US-Kongreßbibliothek verwahrt; hier findet man es in voller Pracht. (19.1.2011)

Des Pudels C. E. R. N.: Als Sonderkorrespondent beim Schweizer Schwarzen Loch

Gastbeitrag von hjfux vom 30.3.10, übernommen aus dem Unser-Huhn-Blog, nachbearbeitet von r.h.

Der Stammtisch Unser Huhn ist mit dem C.E.R.N. in einer kritischen Hassliebe verbunden. Zum einen warnt unser Otto (Rössler) die Welt vor den eventuell tödlichen Folgen, wenn im C.E.R.N. bei den hochenergetischen Kollisionen eventuell schwarze Löcher entstehen und die theoretische Hoffnung, dass sie sich wieder auflösen (Hawking), peinlicherweise falsch wäre. Auf der anderen Seite haben wir Journalisten unter uns, die furchtlos von ihrer eigenen Hinrichtung berichten würden, bis ihnen die Stimme bricht. Und dieser (Ulrich Stolte) ist heute zum wissenschaftlichen Knall hingefahren, um mit den eigenen Sinnen zu erleben, wie die erste 7 TeV-Kollision abläuft. Von der Front erreichte uns seine Email: "Hi Hajo! Sie haben es geschafft, heute mittag 13 Uhr, 7 Tera-e-volt, Der Antichrist kommt!!!!!! und ich war dabei. fantastisch, nicht????". Der S.U.H. hört da schon heraus: "Hi Hajo! Die Titanic hat es geschafft, eben Kontakt mit einem Eisberg, der Unsinkbarkeitstest läuft!!!! und ich war dabei, fantastisch, nicht???" - oder doch anders?

Weltuntergang oder nicht Weltuntergang - das ist hier die Frage ...
(Linearbeschleuniger beim C.E.R.N.; Bildquelle: Wikipedia)


(27.4.2010)

Vorstellung:

Seit über 20 Jahren nehme ich am Stammtisch »Unser Huhn« teil. Hier sehen Sie das Symbol des Stammtischs:



Der Stuttgarter Halbmarathon gehört zu den regelmäßig von mir frequentierten Veranstaltungen.

(14.3.2010)

SA 12.5.'18 17.30-19.30: Drama, Sex & Crime, Lyrik & lose Literatur: Lesung im lockeren Lokal GOLDENE ZEITEN, Tü, Europaplatz 11

Lilo Wanders liest erotische Literatur - so gemütlich und anregend, wie UNSER HUHN es tun wird (Bild: Wikipedia) Huhn hält hof: We...